Wartburg-Fahrräder

Steuerkopfschild_FFEWartburg-Fahrräder – Eine Eisenacher Geschichte

Eine der vielen Fahrradmarken, die im Zuge der wirtschaftlichen Umbrüche der 1920er Jahre vom Markt verschwand, ist die Marke „Wartburg“. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die gleichnamige Automobilmarke über fast 100 Jahre in regelmäßigen Abständen ihre Auferstehung feiern konnte, und so heute noch im kollektiven Gedächtnis zu finden ist. Für die über ca. 35 Jahre existente und nicht minder bedeutende Fahrradproduktion hat bis zu diesem Zeitpunkt noch keine ernsthafte historische Aufarbeitung stattgefunden. Angesichts der bei den Recherchen zu Tage getretenen Überlieferungslücken verwundert dies nicht weiter. So kann der im weiteren Artikel beschriebene Forschungsstand auch nur eine erste Bestandsaufnahme und Grundlage weiterer Recherchen sein.

Die Geschichte der Wartburg-Fahrräder ist direkt über den Standort Eisenach mit der „Fahrzeugfabrik Eisenach AG“ verknüpft. Übrigens waren die Produkte der FFE damit eine von ehemals drei Fahrradmarken „Made in Eisenach“ . Aus heutiger Sicht mag die Neugründung im beschaulichen Residenzstädtchen Eisenach, fernab der großen Industriestädte und Ballungszentren, zunächst einmal ungewöhnlich anmuten. Bei näherer Ansicht ist die Standortwahl durchaus mit Bedacht, zudem strategisch gewählt. Neben der vorhandenen guten städtischen Infrastruktur mit den ab 1890 neu errichteten Gas- und Elektrizitätswerken, war sicherlich die wichtige Ost-West-Eisenbahnlinie der Thüringer Bahn zwischen Bebra und Leipzig der ausschlaggebende Faktor. Geografisch lag die Stadt günstig ziemlich genau in der Mitte des Reiches, also in gleicher Entfernung zu den Absatzmärkten in Sachsen, Berlin und den westlichen preußischen Provinzen. Auch bei der Wahl des Fabrikgrundstücks zwischen dem Flüsschen Hörsel und direkt am Rande der Eisenacher Innenstadt dürfte die direkte Nähe zu dieser Bahnverbindung eine Rolle gespielt haben.

Hinter der Gründung der „FFE“ am 03.12.1896 stand der Industrielle und Erfinder Heinrich Ehrhardt, sowie ein Konsortium verschiedener Banken. Tätigkeitsfeld der Firma sollte die Produktion von Rädern, Fahrzeugen, Metallwaren, Maschinen aller Art und eben auch Fahrrädern sein. Hinter dem größten Teil der Produktionspalette verbargen sich Heeresgüter, bei deren Produktion und Vertrieb Ehrhardt schon einige Erfahrungswerte besaß. Heinrich Erhardt gehört sicherlich zu den interessantesten Industriellenpersönlichkeiten der Gründerzeit, wobei ein Abriss seiner umfangreichen Biografie den Rahmen dieser Arbeit deutlich sprengen würde. Für die strategische Überlegung Erhardts, zusätzlich zu den schon von ihm gegründeten mechanischen und eisenverarbeitenden Betrieben, den bis dato boomenden Fahrradmarkt zu beliefern, spricht die Ausstattung der neuen Firma mit diversen von ihm patentierten Erfindungen in diesem Bereich. Die technische Direktion übernahm sofort nach der Gründung sein Sohn Gustav Erhardt, der als Ingenieur auch das nötige technische Verständnis einbringen sollte. Die kaufmännische Leitung oblag dem Kaufmann Junius.

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Wartburg “Bergrad” 1898

Ob die Fahrradproduktion schon im Jahr der Gründung 1896 aufgenommen wurde, lässt sich abschließend nicht eindeutig klären. Möglicherweise wurde, ähnlich dem zweiten Standbein der Fahrzeugfabrik, den Heeresgeräten, die ersten Stücke in den anderen Erhardt-Produktionsstätten in Thüringen gefertigt. Spätestens ab Dezember 1897 fand auch die Fahrrad-Produktion dann komplett in den neu fertiggestellten Fabrikationsanlagen zwischen Rennbahn und Hörsel statt. Auf den ersten Ansichten der neuen Fabrik ist der zentrale Bereich des Fahrradbaus, ungefähr an der Stelle der späteren Endmontage gelegen, gut erkennbar. Im Laufe der folgenden Jahre folgten diverse Neu- und Erweiterungsbauten. Der letzte bekannte Fahrradproduktionsort innerhalb des Werks lag ebenfalls an dieser Stelle. Die Halle trug den recht markanten Schriftzug „Fahrzeugfabrik Eisenach“ auf dem Dach. Dieser Bau stammt vermutlich schon aus den ersten Jahren des Werks und überstand den II. Weltkrieg nicht. Direkt nach dem Krieg wurde die durch den heute auch schon nicht mehr existenten Bau der schon genannten „Neuen Halle“ ersetzt.

Folgt man dem ältesten bekannten Firmenkatalog aus dem Jahre 1898, so umfasste die Modellpalette ausschließlich Niederräder. Neben Damen- und Herrenrädern für den normalen Gebrauch auch Rennräder und Fahrräder für den Heeresbedarf. Wie die meisten Produkte der Ägide Erhardt zeichneten sich diese durch eine Vielzahl technischer Innovationen aus.

Eine solche Neuerung bildete das ab 1898 vom Betriebsleiter Joh. Krug für das Heer „zur Schonung der Pferde beitragend“ entwickelte sogenannte „Bergrad“. Das „Bergrad“ arbeitete mit einer kettenlosen Kraftübertragung mittels Kardanwelle und war mit einer Gangschaltung und einem Schaltgestänge am Mittelrahmen ausgestattet. Der Rahmen wurde für die besonderen Belastungen des militärischen Einsatzes zusätzlich verstärkt. Die im „Bergrad“ verwandte Kardanwelle kam als Variante wahlweise auch bei zivilen Rädern zum Einsatz. Leider wissen wir nicht, ob das „Bergrad“ tatsächlich in nennenswerten Stückzahlen gebaut oder gar eingesetzt wurde, da weder Lieferzahlen noch sonstige Dokumentationen bekannt sind. Letztendlich schien sich diese Antriebsmethode aber am Markt nicht durchgesetzt zu haben, da die Produktion schon 1899 wieder aus dem Programm genommen wurde.

Erkennungsmerkmale der meisten Wartburg-Fahrräder waren, neben dem angenieteten Kettenrad mit Sechsteilung und gebogenen Streben, das markante Steuerkopfschild. Quer über das verspielte Oval läuft eine Banderole mit dem Wort „Wartburg“. Im unteren Teil des Steuerkopfschildes fand sich üblicherweise die Modellnummer eingeschlagen. Den Klingeldeckel zierte dagegen ein Schild, das die Umrisse der Wartburg trägt. Auch hier findet sich in verzierten Lettern der Name „Wartburg“.
Einen Übergang vom Fahrrad zum Motorrad im heutigen Sinne bildeten die motorisierten Zweiräder, deren Rahmen und Räder noch deutlich auf dem Fahrrad fußten, aber an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden können.

Wartburg_Fahrrad_1914_Nr.31Insgesamt begann der Fahrradbau vielversprechend. 1898 wurden 35 Räder täglich hergestellt, die Jahresproduktion betrug demnach 10.000 Stück. Auch die Qualität der Räder wurde vielgerühmt. So resümierte die „Radwelt“ über die „Wartburg-Räder“: „Phänomenal leichter Lauf, äußerst sinnreiche und dauerhafte Konstruktion und schneidiges Aussehen.“

So erfolgreich alles begann, so schnell und abrupt sollte es 1899 wieder zum Erliegen kommen. Der Überproduktion und vor allem Billigimporte aus den USA führten zu einer Sättigung des Marktes. Zu allem Überfluss sollte am 31.10.1899 auch noch die Revisionshalle abbrennen und 600 dort zur Auslieferung bereitstehende Fahrräder zerstören. Allein dieser Schaden betrug 176.540 Mark, was uns zeigt, dass der Preis pro Fahrrad bei ungefähr 290 M. gelegen haben dürfte. Bei einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 834 Mark kostete ein „Wartburg-Rad“ also circa ein Drittel des Jahreseinkommens eines einfachen Arbeiters. Im Geschäftsjahr 1900/1901 kam die Produktion komplett zum Erliegen. Zeitgleich mit dem Einbruch des Fahrradmarktes gingen auch die wichtigen Rüstungsaufträge immer spärlicher ein. Letztendlich war auch dieses Ereignis ein Grund der FFE, sich nach neuen Betätigungsfeldern umzuschauen und als neues Standbein die junge Automobilherstellung aufzunehmen. Da auch diese Produkte mit den nun schon gewählten Markennamen „Wartburg“ ausgestattet wurden, kann man mit einiger Genugtuung sagen, dass die lange Ahnenreihe bedeutender „Wartburg“-Wagen nach dem „Wartburg“-Rad benannt wurde, und nicht anders herum.

Direktor Gustav Erhardt sollte in den folgenden Jahren den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Ausrichtungen immer mehr auf den Ausbau der Automobilproduktion legen. Trotz der erstaunlichen technischen Verbesserungen der eingekauften Decauville-Lizenz und der nicht minder innovativen Marketingkampagnen sollte sich in diesem Bereich kein finanzieller Erfolg einstellen. Zusätzlich sollte auch die Fahrradproduktion in den folgenden Jahren noch an den Folgen des darniederliegenden Marktes laborieren.
Als Folge dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten stand die Firma 1903 kurz vor dem Aus. Der Aufsichtsrat zog die Notbremse und entband sowohl Gustav Erhardt, als auch Junius 1903 von der Geschäftsführung. Aus Proteste gegen dieses Vorgehen schied der nun schon betagte Heinrich Ehrhardt seinerseits 1904 als Aufsichtsratsvorsitzender aus der Firma aus. Dies nicht ohne auch seine Anteile aus der Firma zu ziehen. Schlimmer als der Kapitalabfluss, wog sicherlich der damit einhergehende Verlust der auf Erhardt ausgestellten Fahrzeuglizenzen. Schlagartig stand die Firma ohne ihr Kernprodukt dar. Mit der nun folgenden Eigenentwicklung eines völlig neuen Automobils entschied sich die Geschäftsführung des Unternehmens auch zur Einführung der neuen Marke „Dixi“. Die etablierte Marke „Wartburg“ blieb dagegen aber als Produktname der Fahrradproduktion des Werkes bestehen.

Gerade innerhalb der firmeninternen Krise sollte sich der deutsche Fahrradmarkt deutlich erholen und die Produktionszahl ab 1903 bei ca. 15.000 jährlich gefertigten Rädern liegen . Ab 1905 machte die Fahrradfertigung sogar den größten Anteil der Gewinne des Werks aus. In diesem Zeitraum lag die Beschäftigtenzahl in der Fahrradproduktion bei ca. 500 Arbeitern und damit bei etwa der Hälfte der Gesamtbeschäftigtenzahl von ca. 1120 Arbeitern und Angestellten.
Das folgende Jahrzehnt sollten die „goldene Jahre“ der „Wartburg-Räder“ werden. Bis 1910 fertigte die Fahrzeugfabrik insgesamt 100.000 Räder und gehörte damit zu den größeren Produzenten Deutschlands. Ein umfangreiches Händlernetz mit Generalvertretungen in den großen deutschen Städten sorgte für eine reichsweite Verbreitung. Komplimentiert wurde das Marketing mit recht umfangreichen Werbemaßnahmen. Die erfolgreichste Werbung war natürlich die sportlichen Meriten der eigenen Rennradserie. So überrascht es nicht, dass besonders die Wartburg-Renner wie das Modell 50 zum Aushängeschild der Firma wurden. Gerade in den Jahren vor dem I. Weltkrieg fuhren eine ganze Reihe bekannter Rennfahrer auf Ihren „Wartburg“-Rädern Erfolge ein. Ein frühes Beispiel ist der Rennfahrer Alex Verheyen, der als einer der ersten Berufsfahrer dieser noch jungen Sportart auch internationale Erfolge einfuhr, und später auch die Vertretung der „Wartburg-Räder“ in Berlin übernehmen sollte. Schon in den ersten Jahren des Werks wurden die Wartburg-Rennräder vielgerühmt. Sie schrieb die „Eisenacher Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 27.08.1899 stolz: „Die „Radwelt“ schreibt unter dem Datum des 16. August d.J.: ,Eine Serie glänzender Erfolge wie sie heute kein anderes Fabrikat aufzuweisen hat, das sind die Resultate der erstklassigen Marke „Wartburg“ der Fahrzeugfabrik Eisenach. Jeder Renntag bringt neue Siegesdepeschen über die „Wartburg-Räder“, so daß die Firma mit Recht stolz aud dieses Fabrikat sein kann. Das großartig eingerichtete Werk ist emsig bemüht, daß alle proktischen Neuheiten und Verbesserungen in Anwendung kommen.“ Auch das Werk sollte eine eigene „Wartburg“-Radmannschaft unterhalten, die wohl bis in die 1920er Jahre Bestand hatte.

Der Beginn des ersten Weltkrieges stellte für die FFE einen Einschnitt dar. Das Werk verdiente insgesamt außerordentlich gut an der Rüstungsproduktion und musste in dieser Hochkonjunkturphase das Werksgelände mehrfach auf 81.000 m2 erweitern. Die Produktionspalette passte sich absolut der Kriegsnachfrage an. Leider ist in diesem Zeitraum die Quellenlage zur Fahrradproduktion etwas dürftig, so dass wir nur annehmen können, dass die zivile Produktion zugunsten des Heeresgerätes deutlich zurückgefahren wurde. Vermutlich hat es auch in diesen Jahren keine nennenswerte Fahrradfertigung gegeben.
Nach Ende des Krieges stellte die FFE wieder auf zivile Produktion um. Wieder war die (zivile) Automobilproduktion zentraler Bereich der Tätigkeiten. Zumindest für die frühen 1920er Jahre wissen wir, dass die Eisenacher Fahrräder noch unter den Markennamen „Wartburg“, nun aber mit dem Zusatz „Dixi“ verkauft wurden. Ab spätestens 1925 scheint nur noch der Markenname „Dixi“ gebräuchlich gewesen zu sein. „Wartburg“ blieb zwar nachweislich noch ein eingetragener Markenname der FFE, wurde aber nicht mehr verwendet. Damit endete eine nicht ganz 30 Jahre währende Geschichte der „Wartburg-Räder“.

Die sich optisch kaum von Ihren Vorkriegsvorläufern unterscheidbaren Dixi-Fahrräder sollten sich noch einige Jahre verkaufen. Nach der 1928 erfolgten Übernahme der Fahrzeugfabrik Eisenach durch die Bayrischen Motorenwerke stellte das Werk 1929 die Produktion von Fahrrädern kurzfristig und endgültig ein . Offensichtlich war die Geschäftsführung der BMW der Meinung, dass eine eigene Fahrradproduktion gegen die große Konkurrenz der Vielzahl großen Marken Opel oder Adler nicht weiter bestehen kann.

Während es in den folgenden Jahrzenten immer wieder (eher erfolglose) Versuche einer Wiederbelebung der Fahrradmarke Dixi gab, bezog sich der Markenname Wartburg nach 1955 ausschließlich auf die im Automobilwerk Eisenach hergestellten Automobile. Inzwischen sind auch diese Geschichte. Was bleibt, ist die Erinnerung.